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  • koordinator9

Mut zur Differenzierung

Das Thema Siedlungsbau zeige es einmal mehr: Die Diskussion um Israel werde wenig differenziert geführt, meint Ofer Waldman. Der israelische Publizist hat lange in Deutschland gelebt. Die Spaltung in „Freunde“ und „Kritiker“ Israels hält er für gefährlich.


Ein Kommentar von Ofer Waldman

Quelle: Getty/Amir Levy

Der Kommentar kann Deutschlandfunk Kultur oder hier gelesen werden:


Als Israeli liebe ich das deutsche Wetter, vor allem jetzt, wo alles so schön grau ist. Verstehen Sie? In Israel kennen wir nur sehr intensive Farben. Das wirkt sich auf die politische Diskussion aus, die keine Graustufen kennt. Freund oder Feind, wir oder sie, gut oder böse. 

Man könnte meinen, dass sich die globale Erwärmung nun auch auf die deutsche, Israel-bezogene Diskussion niederschlägt. Weg von differenzierten, grauen Zwischentönen, hin zu sonnenklaren Schwarz-Weiß Argumenten. Und bitte schön nichts dazwischen. Zwei Beispiele illustrieren das.


Zum einen war jüngst in einer Show am Brandenburger Tor anlässlich des 30. Jubiläums des Falls der Berliner Mauer die hebräische Aufschrift „Endet die Besatzung“ zu lesen, als Anspielung auf die Mauer, die Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete trennt. Und das am 9. November, einem Tag, der nicht nur Deutschlands schönste Stunde feiert, sondern auch seine dunkelsten, jener der nationalsozialistischen Pogromnacht. 


Komplexität der Ereignisse in Israel


Zum anderen entschied der Europäische Gerichtshof, dass Produkte aus israelischen Siedlungen als solche gekennzeichnet werden müssen. Am gleichen Tag hagelten Raketen aus dem Gazastreifen auf Israel nieder, nachdem ein Islamistenführer im Gazastreifen durch Israel getötet wurde.


Diese zwei Beispiele demonstrieren die grundlegende Komplexität, sowohl der Ereignisse in Israel, als auch der öffentlichen Debatte darüber hier, in Deutschland. Doch statt zu versuchen, dieser Komplexität gerecht zu werden und differenzierte Argumente zu formulieren, reduziert sich die deutsche Debatte zunehmend auf grobe Vereinfachungen. 

Es erhob sich nämlich ein geübter deutscher Chor aus bestimmten Teilen der Politik und der Medien, der jede Debatte über Israel im Keim ersticken will. Dies gipfelte in der Aussage – wie die Bild-Zeitung schrieb – das Ganze sei „Anti-Israel Hetze“. Basta. Und wehe dem, der kleinlaut einwendet, die Beendigung der Besatzung sei doch die offizielle Politik Deutschlands und der Europäischen Union. 


Deutscher Grundkonsens wird zum Tabu


Deutschland spaltet sich in angebliche „Israelfreunde“ und „Israelkritiker“. Es ist eine gefährliche Entwicklung. Aufgrund unserer gemeinsamen Geschichte gehört eine grundlegend positive Haltung Israel gegenüber zum deutschen Grundkonsens. Für Bundeskanzlerin Merkel gehört dies zur deutschen Staatsräson. Doch wer eine differenzierte Diskussion über Israel unterbinden möchte, verwandelt diesen Konsens in ein Tabu, und Tabus sind nun mal da, irgendwann hinterfragt, gar angezweifelt zu werden. 

Ich bin in Jerusalem der 1990er-Jahre aufgewachsen, als die Stadt durch mörderische Terrorattacken erschüttert wurde. Als die Trennmauer gebaut wurde, konnte man ein wenig aufatmen. Gleichzeitig ist diese Mauer ein Ausdruck des politischen Versagens beider Seiten, den Konflikt friedlich zu lösen. In einer friedlichen Zukunft muss sie, zusammen mit der Besatzung, beseitigt werden. Das ist eine differenzierte Meinung, keine Anti-Israel Hetze.

Wer Angst vor Differenzierung hat, ist sich seiner eigenen Position nicht sicher. Eine differenzierte Diskussion ist ein Beweis der Stärke des deutschen Konsenses zu Israel. Ich appelliere an alle Freundinnen und Freunde Israels: Entdeckt bitte erneut den Mut zur Differenzierung, genießt ein wenig das graue deutsche Wetter.


Ofer Waldman, in Jerusalem geboren, war Mitglied des arabisch-israelischen West-Eastern-Divan Orchesters. In Deutschland erwarb er ein Diplom als Orchestermusiker und spielte unter anderem beim Rundfunk-Sinfonie-Orchester Berlin sowie den Nürnberger Philharmonikern. An der Hebräischen Universität Jerusalem machte er anschließend einen Master in Deutschlandstudien. Derzeit promoviert er und beschäftigt sich in Vorträgen und Texten mit den deutsch-jüdischen, deutsch-israelischen und israelisch-arabischen Beziehungen.

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