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Freilassung der Geiseln, jüdisch-palästinensische Partnerschaft, Menschenrechte und eine politische Lösung des Konflikts – unsere Prioritäten 5 Monate nach dem 7.10.2023

Der New Israel Fund (NIF) setzt sich seit vier Jahrzehnten für Demokratie, Gleichberechtigung und Frieden in Israel ein, indem er die demokratische Zivilgesellschaft im Land fördert, aufbaut und stärkt. Das vergangene Jahr 2023 war wohl das schwierigste und schmerzhafteste in der Geschichte Israels. Die brutalen Angriffe der Hamas auf Gemeinden in der Nähe des Gazastreifens am 7. Oktober und der darauffolgende Krieg mit der Hamas, denen monatelange Demonstrationen gegen die rechtsreligiöse Regierung vorausgingen, haben die israelische Demokratie und Gesellschaft auf eine nie dagewesene Probe gestellt. Gleichzeitig haben die Ereignisse des vergangenen Jahres auch die Bedeutung und Widerstandsfähigkeit der Zivilgesellschaft in Israel unterstrichen: NIF und die von uns unterstützten Organisationen vor Ort gehörten zu den ersten, die sowohl auf die Wahl der in Teilen rechtsradikalen Regierung unter Premierminister Benjamin Netanjahu reagierten als auch in der durch die Angriffe der Hamas ausgelösten humanitären Katastrophe schnell und unbürokratische Hilfe leisteten.

In diesem historischen Moment lautet unsere Aufgabe weiterhin, zivilgesellschaftliche Akteur:innen zu stärken und zusammenzubringen und - auf lange Sicht - eine lebendige, dauerhafte Demokratie in Israel aufzubauen


Fünf Monate nach dem 7.10.2023 lauten unsere unsere aktuellen Prioritäten:


1.    Hilfe für Überlebende und Binnenevakuierte in Israel

Als Reaktion auf die Terrorangriffe der Hamas vom 7.10.2023 stellte NIF das Nothilfeprogramm Emergency Safety Net auf, dass humanitäre Hilfe für Terrorüberlebende und Binnenevakuierte leistete und die Familien der Geiseln unterstützte. Gleichzeitig förderte NIF im Rahmen des Emergency Safety Net den Schutz der Menschen- und Bürgerrechte, die Stärkung der jüdisch-arabischen Beziehungen und die Entwicklung von Perspektiven und politischen Lösungen für eine friedliche Zukunft.

Unser Nothilfeprogramm wurde entwickelt, um angesichts des Vakuums staatlicher Daseinsfürsorge unmittelbar nach dem 7.10.2023 die humanitäre, medizinische und psychologische Versorgung der Zivilbevölkerung sicherzustellen. Inzwischen haben die israelische Regierung und die Kommunen in Israel eine größere Verantwortung für die Versorgung von Überlebenden und Binnenevakuierten übernommen. Darum hat sich der Schwerpunkt unserer Arbeit auf die drei letztgenannten Prioritäten des Emergency Safety Net verlagert. Die Freilassung der nach Gaza verschleppten Geiseln bleibt eine wichtige Priorität für uns, weshalb wir die Angehörigen der Geiseln im Hostages and Missing Families Forum und andere Bürgerinitiativen zu dem Thema weiterhin unterstützen. Außerdem setzen sich unsere Partnerorganisationen wie die Association for Civil Rights in Israel (ACRI) dafür ein, dass bspw. Anwohner:innen von der am 7.10.2023 angegriffenen Stadt Sderot weiterhin die nötige staatliche Unterstützung erhalten und Lehrkräfte nicht verpflichtet werden, unter den jetzigen Umständen nach Sderot zurückzukehren.


2.    Wahrung der Menschen- und Bürgerrechte

Schon vor dem 7.10.2023 arbeitete die rechtsgerichtete Netanjahu-Regierung kontinuierlich daran, die Demokratie zu untergraben, das Justizsystem zu schwächen und die Menschen- und Bürgerrechte, insbesondere die von marginalisierten Gruppen wie palästinensischen Bürger:innen Israels, Frauen, der LGBTQ+-Community und Asylsuchenden, zu beschneiden. Seit dem Ausbruch des aktuellen Krieges versuchen Minister der Regierung und Strafverfolgungsbehörden, Proteste gegen die Kriegsführung der Regierung, kritische Berichterstattung oder Privatmeinungen in sozialen Medien zu beschneiden. Besonders palästinensische Bürger:innen Israels und Menschenrechtsaktivist:innen sind von dieser Einschränkung der Meinungsfreiheit betroffen.

Im Schatten des Krieges hat außerdem die Siedlergewalt gegen die palästinensische Bevölkerung im besetzten Westjordanland zugenommen und zur Vertreibung palästinensischer Gemeinden von Ihren Ländereien geführt.

Hier ist eine Auswahl unserer aktuellen Projekte zur Verteidigung von Menschen- und Bürgerrechten:

  • Verteidigung der Versammlungsfreiheit: Nach Ausbruch des Krieges wurden Proteste gegen den Krieg oder Mahnwachen vielfach verboten oder gewaltsam aufgelöst. Eine Petition von ACRI erwirkte im November 2023, dass die Polizei eine Demonstration in Tel Aviv mit 700 Teilnehmenden genehmigte. In der Demonstration wurde ein Waffenstillstand und den der Austausch von israelischen Geiseln im Gazastreifen gegen in Israel gefangene Palästinenser:innen gefordert. Seitdem haben weitere größere Antikriegsdemonstrationen in Tel Aviv und Haifa stattgefunden.

  • Wahrung der Rechte palästinensischer Bürger:innen: Palästinensische Israelis sind seit Beginn des Krieges unverhältnismäßigen polizeilichen Maßnahmen ausgesetzt, einschließlich Überwachung, willkürlicher Verhaftung und Androhung von Gewalt und Schikanen. In den letzten Monaten wurden mehr als 250 palästinensische Israelis festgenommen, von denen viele ohne Anklage freigelassen wurden. Die Emergency Coalition of Palestinian-Israeli NGOs, die mit Unterstützung eines Zuschusses aus dem NIF Emergency Safety Net gegründet wurde, hat den Betroffenen Rechtsbeistand geleistet und setzt sich für die Verteidigung der Meinungsfreiheit ein. Unsere langjährige Partnerorganisation Adalah – The Legal Center for Arab Minority Rights in Israel bietet auch Rechtshilfe für Studierende, die wegen kriegskritischer Beiträge in den sozialen Medien suspendiert oder von der Universität verwiesen wurden, und veranstaltet Webinare in arabischer Sprache über Meinungsfreiheit und andere Rechte.

  • Unterstützung für Bürger- und Menschenrechtsaktivist:innen: Im Rahmen der Proteste gegen den Justizumbau 2023 hat NIF den Civil Society Hub und die Notfallkoalition für palästinensisch-israelische NROs gegründet, die NGOs und Einzelpersonen in ihrer Arbeit unterstützen. Im Civil Society Hub erhalten Aktivist:innen u.a. Rechtshilfe, Hilfe bei Cybersicherheit und psychologische Unterstützung.

  • Schutz von Beduinendörfern in Kriegszeiten: Die Terrorangriffe und Raketen der Hamas trafen am 7.10.2023 gleichermaßen jüdische und beduinische Gemeinden im Süden Israels. Jedoch werden viele der beduinischen Dörfer in der Negev-Wüste nicht von der israelischen Regierung anerkannt und galten daher als „unbewohnte Freiflächen“, die bisher keinen Schutz durch das Raketenabwehrsystem Iron Dome erhielten und keine Bunker hatten. Dank der Lobbyarbeit des Nationalen Komitees Arabischer Gemeinden (NCHALA), des NIF-Programms Shatil und anderer Partneroganisationen, konnte die Regierung überzeugt werden, die betroffene Gemeinden als „bewohnte“ Gegenden anzuerkennen und 8 Millionen Dollar für mobile Bunker in Beduinendörfern zu bewilligen. Bislang wurden 52 neue Schutzräume in Beduinengemeinden des Negev aufgestellt.

  • Bekämpfung von Online-Extremismus: Unsere Partnerorganisation FakeReporter ist Experte in der Aufdeckung und Bekämpfung von Falschinformationen und Hassrede im Internet. Seit dem 7.10.2023 hat FakeReporter sich mit Mitgliedern der israelischen Hi-Tech-Community zusammengeschlossen, um eine “Digitales Schutzschild“ zu entwickeln, das gegen extremistische Inhalte, Hetze und Falschinformationen in sozialen Medien vorgeht. Die Arbeit von FakeReporter hat die Löschung von gewalttätigen Inhalten, darunter ein Kanal der Hamas, erwirkt.

 

3.    Förderung von jüdisch-palästinensischer Partnerschaft und Shared Society

Die Förderung der Partnerschaft zwischen jüdischen und palästinensischen Bürger:innen Israels und der Aufbau einer gemeinsamen und gleichberechtigten Zukunft im Sinne einer Shared Society sind seit langem Schwerpunkte unserer Arbeit. Seit dem Ausbruch interkommunaler Gewalt in verschiedenen Städten Israels im Mai 2021 haben NIF, der Programmbereich Shatil und unsere Partnerorganisationen daran gearbeitet, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu vertiefen und besser auf mögliche Notfälle vorbereitet zu sein. Unter anderem dieser Arbeit der letzten Jahre ist es zu verdanken, dass ein erneuter Ausbruch der Gewalt nach dem 7.10.2023 verhindert werden konnte.

  • NIF-Shatil Shared Society Forum: Die Kolleg:innen des NIF-Programmbereichs Shatil koordinieren ein Forum von Organisationen, die sich für die Förderung jüdisch-palästinensischer Zusammenarbeit und einer gleichberechtigten Zukunft, sowohl an der Basis als auch auf nationaler Ebene einsetzen. Seit dem 7. Oktober 2023 haben die Mitglieder des Forums einen maßgeblichen Beitrag zur Deeskalation der Spannungen, insbesondere in gemischten Städten wir Haifa, Lod oder Ramle, geleistet, in denen es in vergangen Kriegszeiten zu Gewalt kam. Im Januar veranstaltete NIF-Shatil einen Klausur für Mitglieder des Forums, um die strategische Planung und Zusammenarbeit zu verbessern aber auch Resilienz und Nachhaltigkeit in der Arbeit zu fördern.

  • Evidenzbasierte Empfehlungen: NIF arbeitet mit aChord, einem Zentrum für Sozialpsychologie an der Hebräischen Universität Jerusalem, zusammen, um die jüdisch-palästinensischen Beziehungen in Israel nach dem 7. Oktober 2023 zu erforschen. Es werden Umfragen in sogenannten gemischten Städten durchgeführt, die dazu beitragen, den Zustand der jüdisch-palästinensischen Beziehungen zu beurteilen und Empfehlungen zur Förderung der Zusammenarbeit zu formulieren.

  • Partnerschaft in Krisenzeiten und für eine bessere Zukunft: Mit Unterstützung des NIF Emergency Safety Net richtete die israelische NGO Have You Seen the Horizon Lately? im Oktober 2023 ein jüdisch-arabisches Nothilfezentrum in der Beduinenstadt Rahat ein. Hier kommen auch fünf Monate später jede Woche Freiwillige zusammen, um Hilfspakete für Hunderte von jüdischen und arabischen Familien im Süden Israels zu verpacken und zu verteilen. Have You Seen the Horizon Lately? hat auch eine Reihe von Videos produziert, die die die Zusammenarbeit von jüdischen und palästinensischen Bürger:innen Israels am 7. Oktober und während des Krieges beleuchten. Die Videos auf Englisch, Hebräisch und Arabisch wurden millionenfach angeschaut.

 

4.    Suche nach einer politischen Lösung des Konflikts und einer demokratischen Zukunft

Die sich vertiefenden Spaltungen innerhalb der israelischen Gesellschaft und der aktuelle Krieg zeigen deutlich, wie wichtig es ist, Perspektiven für eine nachhaltige politische Lösung des israelisch-palästinensischen Konflikts und eine demokratische, gleichberechtigte, inklusive und friedliche Zukunft für Israel zu eröffnen. Der NIF unterstützt Think Tanks und Organisationen, die neue Ideen, Strategien und Paradigmen für eine besseren Zukunft für Israel und seine Nachbar:innen entwickeln. Dazu gehören:

  • Formulierung einer pro-demokratischen Politik: Unter dem Titel „What Yes“ bringt NIF Spitzenforscher:innen, Aktivist:innen und ehemalige führende Beamt:innen zusammen. Sie sollen zehn wichtige politische Vorschläge zur Förderung von Gleichheit und Demokratie in verschiedenen Bereichen, darunter der israelisch-palästinensische Konflikt, die Gleichstellung der palästinensisch-israelischen Gemeinschaft und sozioökonomische Fragen erarbeiten. Das Projekt soll kurzfristig als Entwurf für die pro-demokratische Bewegung und langfristig als Plattform für die ersten 100 Tage einer neuen gleichstellungsorientierten Regierung dienen.

  • Suche nach politischen Lösungen für den israelisch-palästinensischen Konflikt: Der von NIF geförderte Think Tank Mitvim-Das israelische Institut für regionale Außenpolitik und die Berl Katznelson Foundation (BKF) haben eine Arbeitsgruppe gebildet, die in den nächsten drei politische Analysen, politische Alternativen und konkrete Schritte zur Beendigung des israelisch-palästinensischen Konflikts entwickeln und Entscheidungsträger:innen vorlegen soll. Im Dezember veranstalteten Mitvim und BKF mit Unterstützung aus dem NIF Emergency Safety Net eine Online-Konferenz, auf der verschiedene Pläne für den Tag nach dem Krieg vorgestellt wurden. An der Konferenz nahmen hochrangige Politiker:innen teil, darunter Yair Lapid und Mansour Abbas.

  • Kampagne gegen eine israelischer Wiederbesiedlung des Gazastreifens: Unsere Partnerorganisation IDEA: The Center for Liberal Democracy hat eine Kampagne gegen die erneute Errichtung israelischer Siedlungen im Gazastreifen entwickelt. In Videos, Podcasts und anderen Medien wird die israelische Öffentlichkeit über die Gefahren des Plans rechtsreligiöser Siedlerorganisationen aufgeklärt und Wege zur politischen Lösung des Konflikts aufgezeigt.


All dies wäre nicht möglich ohne die Unterstützung von Menschen auf der ganzen Welt, die an die Arbeit der demokratischen Zivilgesellschaft Israel und die Möglichkeit einer besseren Zukunft für alle Menschen in Israel glauben. Bitte unterstützen Sie mit Ihrer Spende weiterhin die Arbeit des New Israel Fund zur Bewältigung der aktuellen Notlage und zum Aufbau einer demokratischen Infrastruktur für eine Zukunft in Gleichberechtigung und Frieden.  



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